EHRENPREIS: YAVUZ TURGUL

ES GIBT NUR EINE DEFINITION: GUTES KINO, SCHLECHTES KINO

Wie würden Sie Kino beschreiben?

Ich denke, Kino ist ein Raum von Liebe, Begeisterung und Anziehungskraft. Schon als Kind war es für mich ein Raum von Begierde. Wenn ich ins Kino ging, war ich ganz außer mir. Ich verliebte mich zum Beispiel in die Schauspielerinnen oder fühlte mich wie ein Cowboy. Es war für mich ein Raum, der in mir verschiedene Seelenzustände hervorrief. Ich darf zwar die Menschen mit einem anderen Verständnis für Kino nicht geringschätzen. Sie sollen mir aber auch das Recht einräumen, dass mich vieles langweilt. Auf solche Fragen findet man Antworten schon in dem Buch ‚Story‘ von Robert McKee. „Gibt es Kunstgemälde und kommerzielle Gemälde“, fragt er dort und fügt hinzu: „Es gibt gute Gemälde und schlechte Gemälde. Es gibt gutes Kino und schlechtes Kino.“ Kannst du zum Beispiel über ‚Zwei Banditen‘, der zu den Meisterwerken des ‚Kunstfilmes‘ zählt, etwas sagen? Oder über ‚Die drei Tage des Condor‘? Er gehört zu den besten Filmen über den ‚tiefen Staat‘. Meisterhaft gemacht. Kurz gefasst: Ausgehend von den Filmen, die ich gesehen habe, sage ich, dass es uns an Kreativität fehlt, wir haben nicht die Fähigkeit, tiefe und reiche Quellen zu nutzen. So haben wir kaum die Chance, die Herzen und Seelen der Menschen anzusprechen. Ich habe mir beispielsweise die Filme von Asghar Farhadi angeschaut. Ein großartiger Künstler…

Warum?

Ich denke, das rührt aus unserer Unwissenheit und Unfähigkeit bei der Erschaffung von „Etwas“. Dies thematisiere ich auch sehr oft auf meinen Drehbuchseminaren. Wir wissen nicht, wie man ein Drehbuch schreibt. Dabei ist das der ausschlaggebende Ausgangspunkt von allem … Nehmen wir zum Beispiel den Film ‚Gone Girl‘ von David Fincher, der momentan von euch Kritikern hochgejubelt wird. Als Drehbuch ist er für mich ein Desaster. Sowohl dort als auch bei uns gilt die folgende Vorstellung: „Meine Ideen sind einzigartig und göttlich. Sie sind ein Beleg für meine Intelligenz, für meine Kreativität…“ Wenn du dich aber mit dieser Einstellung an die Arbeit machst, arbeitest du nur an deinem Misserfolg. „Wie kann ich eine richtige Struktur bekommen, die Elemente ausgewogen zusammenführen, das Chaos in den Kosmos verwandeln? Habe ich diese Fähigkeit?“ Eigentlich musst du das so betrachten. Das, was dich interessiert, kann eine Miniatur sein, ein Musikstück oder ein Bild, oder was auch immer. Entscheidend ist, wie du dir das erdenkst und entwirfst. Während der Schöpfung zerstreuen sich große Teile in die Gegend, es ist im buchstäblichen Sinne wie der „Big Bang“. Wenn du eine Inspiration zu einem Thema hast, dreht sich alles quasi um dich herum. Beispielweise gibt es in der Kerngeschichte eine Frau, die ihren Mann zu ihrem angeblichen Mörder macht. Du kennst zu diesem Thema unzählige Geschichten, Romane und Filme, und du hast eine neue Idee dazu. Dann musst du in dem Universum, das sich in der Explosion befindet, ein Modell entwerfen, dass das Chaos in einen Kosmos verwandelt. Du beginnt mit der Auswahl, drei Einheiten Hass, so und so viel Rache, so und so viel Verrat, usw. Das ist eine gewaltige Werkstattarbeit. Du schöpfst einen Menschen. Ist dir die Bedeutung klar? Diese Arbeit hat eine göttliche Seite… Du schöpfst einen Menschen, den es in Wirklichkeit nicht gibt. Nehmen wir als Beispiel Dostojewski. Bevor er ‚Schuld und Sühne‘ schrieb, existierten seine Figuren nicht. Das Problem beginnt auch hier. Du kannst nicht einfach sagen „Ich habe es mir so überlegt, diesen Satz finde ich wunderbar“. Der Regisseur legt dann der Arbeit nur seine eigene Existenz zugrunde, nicht die der Figur. Dies gilt auch für die Literatur. Es gibt Romane, in denen der Autor sich selbst nie zeigt. Mancher lässt aber nie seine Helden zu Wort kommen, sondern spricht nur selbst. Da fängt der Held an zu reden und du weißt, das hat Yavuz neulich in der Kneipe gesagt. Und jetzt hat er es aufgeschrieben. Er ist immer gegenwärtig. Ob Schriftsteller oder Regisseur – es macht keinen Unterschied. Das ist die Unfähigkeit bei der Schöpfung. Ich weiß, wovon ich rede, da ich mich damit auseinandergesetzt habe und auch weiß, worin der eigentliche Wert liegt. Du siehst dir mehrere Filme von demselben Regisseur an, aber nur einer davon ist wirklich gut. Denn da hat er es geschafft einen guten Aufbau zu erschaffen. Und das ist die Quintessenz. Interview: Uğur Vardan, Filmkritiker, Istanbul