EHRENPREIS: HANNA SCHYGULLA

Hanna Schygulla oder Die Kunst der Entschleunigung

Ein Dialog in einem ihrer ganz starken Filme: „Erzählen Sie von sich!“ – „Da gibt es nicht viel zu erzählen ... „ – „Oh doch! Was Sie denken oder ... was Sie TRÄUMEN.“ Es ist der Dialog zwischen Margit Carstensen und Hanna Schygulla in dem Kammerspielfilm Die bitteren Tränen der Petra von Kant, 1972 von Rainer Werner Fassbinder nach seinem eigenen Drehbuch inszeniert und in intensive Bilder gesetzt von Michael Ballhaus. In jenem knappen Dialog finden wir das zentrale Leit- und wohl auch Lebensmotiv einer Schauspielerin, die man in den späten 70er Jahren zu einem „Weltstar“ hinaufheben wollte und die sich doch für den Abstieg in reale, menschlich dimensionierte Existenzformen entschied.

Hanna Schygulla – es ist tausendmal gesagt und geschrieben worden – ist die cineastische „Erfindung“ eines Regisseurs, der in den 70er Jahren den deutschen Film neu erfand und der bis zu seinem plötzlichen Tod wie ein Berserker seine illusionslosen Illusionswelten baute.

Gewiss war Hanna Schygulla seine Entdeckung, aber die eigentliche sicht- und spürbare Energie verkörperte diese junge Frau, die sich für ihr Spiel, ihre Bewegungen, ihre Statik, ihre Gesten, ihre Blicke völlig auf ihre ureigene Intuition und eine traumwandlerisch anmutende Sicherheit verließ. Typisch für sie ist in den frühen Fassbinder-Filmen der 70er diese spezifische Körpersprache, getragen von einer aufreizenden Langsamkeit – heute würde man sagen „Entschleunigung“. „Spielen ist wie Selbsthypnose“, sagte sie, „eine Form der Selbstvergessenheit, in der Leben und Spiel ineinander übergehen.“ Natürlich dominiert, weiß sie zu gut, das Vorherrschaftsprinzip des Regisseurs, dem sie sich als „Marionette mit Eigensinn“ unbeirrt entgegenstellte. Ihre Fähigkeit, Nähe durch Abstand zu erzeugen, bewahrte sie stets vor Abstürzen: „Ein großes Wissen ist immer da, wo wir dem Instinkt folgen“, sagte sie.

Und an solcher selbstgewissen und energiegeladenen Ruhe prallen immer wieder die tragischen Fassbinder-Filmfiguren um sie herum ab – orientierungslose Männer mit ihren so aggressiven wie verzweifelten Gesten verirrter Männlichkeit. Oder sie verbrennen an ihrem Licht. Denn fast alle Figuren, die Hanna Schygulla in jenen Jahren verkörperte, sind – wenn auch melancholische – Lichtgestalten. Licht in einem Sinne, das eben nichts mehr mit dem Kunstlicht zu tun hat, in dem vor einer Kamera Körper und Gesten sichtbar gemacht werden. Es ist die ureigene Energiequelle einer Persönlichkeit, für die das Zauberwort „Karriere“ niemals Ziel oder Wegweiser geworden ist.

Entstanden all diese frühen Filme, inszeniert von einem „verhexten Hexer“, wie die Schygulla Fassbinder in einem Interview kennzeichnete, noch in einem Zustand von Naivität, so verlor sie auch später, als dann die Welterfolge mit Die Ehe der Maria Braun bzw. Lili Marleen kamen, nichts von ihrer eigensinnigen „Unschuld“. Wollten die Medien nun den „Anti- Star“ als „Weltstar in Hollywood“ sehen, so entschied sie auch hier mit traumwandlerischer Sicherheit, auf dem Boden zu bleiben. Ging 1981 nach Paris, hatte eine intensive Liebesbeziehung mit einem Franzosen, entfloh ihrem durch Fassbinder geprägten Image, entwickelte Lust an Verwandlung und drehte fortan mit Regisseuren wie Ettore Scola, Carlos Saura und auch Jean-Luc Godard – der damals ein allzu machtbewusster Regie-Gottspieler, den sie immerhin fast zum Weinen gebracht hat.

Es entsprach ihrem eigenen Selbstverständnis, niemals in Routine zu erstarren, sondern immer wieder alte Häute abzuwerfen, sich zu entgrenzen, Neues zu entdecken und zu realisieren. Sie entdeckte, abseits vom bewegten Sprach-Bild, die Magie der Sprache, des gesprochenen Wortes, rezitierte und sang europaweit auf diversen Bühnen in einem eigenen Brecht-Programm, las etwa aus dem Roman „Die Waffen nieder!“, geschrieben bereits 1889 von der österreichischen Friedensaktivistin Bertha von Suttner.

Aber das Kino entließ sie nicht: Sie spielte in Filmen vornehmlich jüngerer Regisseure wie Till Franzens Die Blaue Grenze oder Hans Steinbichler und dessen Winterreise. Und in Fatih Akins Meisterwerk Auf der anderen Seite aus dem Jahr 2007 – der auch in der Türkei mit erheblichem Publikumserfolg lief –brillierte sie als für den Deutschen Filmpreis nominierte „beste Nebendarstellerin“, um schließlich dafür im Jahre 2009 als erste deutsche Schauspielerin den „National Society of Film Critics Award“, der Vereinigung amerikanischer Filmkritiker, zu erhalten.

Überraschend dann dies: Die Berliner „Akademie der Künste“ zeigte 2014 unter dem Titel Traumprotokolle Kurzfilme, die Schygulla schon viele Jahre zuvor selbst gedreht hat. Und ganz charakteristisch für die hellwache Hanna Schygulla, über die so viel mediale Wortnebel verbreitet wurde, war die Veröffentlichung ihrer vollkommen uneitlen und ungeschwätzigen Autobiographie mit dem ihr Leben und ihre Kunst prägenden Titel: Wach’ auf und träume!

Jochen Schmoldt, Journalist

Programm mit Hanna Schygulla auf dem Festival